Am Landgericht Traunstein hat ein neuer Prozess um den Tod der Studentin Hanna W. in Aschau begonnen. Saß der 2024 als Täter verurteilte Mann zu Unrecht im Gefängnis? Eine wichtige Zeugenaussage jedenfalls wackelt.
War es Mord – oder doch ein tragischer Unfall? Der Tod der Studentin Hanna W. beschäftigt die Justiz erneut. Ab diesem Montag rollt das Landgericht (LG) Traunstein den Fall neu auf, verhandelt wird aus Platzgründen im Amtsgericht Laufen. Auf der Anklagebank sitzt wieder jener junge Mann, der 2024 wegen Mordes an W. verurteilt worden war, inzwischen aber auf freiem Fuß ist.
Der Abend, an dem alles begann, liegt mittlerweile fast drei Jahre zurück. Am 3. Oktober 2022 kehrte die 23-jährige Medizinstudentin nach einer Partynacht in der Diskothek „Eiskeller“ nicht in ihr nur wenige Hundert Meter entferntes Elternhaus im oberbayerischen Aschau zurück. Später stellen Ermittler fest: W. stürzte in den Bärbach, ihre Leiche wurde erst viele Kilometer flussabwärts in der Prien entdeckt. Schon bald stand für die Ermittler fest, dass es sich nicht um einen Unfall handeln konnte. Sie fahndeten nach einem Täter – und nahmen schließlich einen damals 20-jährigen Mann aus dem Ort fest, der in jener Nacht in der Nähe des späteren Fundorts joggte.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat er die junge Frau verfolgt, aus sexuellen Motiven von hinten attackiert und in den Bach gestoßen, wo sie ertrank. Er soll ihr mindestens fünf Schläge auf den Kopf versetzt und sie anschließend stranguliert haben. Die Anklage lautet: heimtückischer Mord.
Der erste Prozess
Der erste Prozess am Landgericht Traunstein endete 2024 mit einem Schuldspruch: Die Richter sahen die Vorwürfe als erwiesen an und verurteilten den zur Tatzeit 20-Jährigen nach Jugendstrafrecht zu neun Jahren Haftstrafe. Die Verteidigung hatte stets auf einen möglichen Unfall hingewiesen – ohne Erfolg. „Es handelte sich nicht um einen Unfall“, stellte die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler in ihrer Urteilsbegründung klar.
Doch das Urteil hielt nicht stand. Der Angeklagte legte Revision ein und der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil auf. Der Grund war zunächst einmal ein formaler: Der BGH-Senat begründete seine Entscheidung mit einem Verfahrensfehler, den auch die Verteidigung im Prozess gerügt hatte. Richterin Aßbichler hätte an dem Urteil gar nicht mehr mitwirken dürfen, entschied der BGH. Die Richterin hatte sich im Laufe des Prozesses in E-Mails mit dem Staatsanwalt über die rechtliche Würdigung von Erkenntnissen aus dem Prozess ausgetauscht, die Verteidigung hierüber aber in Unkenntnis gelassen.
Als sie davon erfuhr, stellte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag, der abgelehnt wurde. Dies hielt der Nachprüfung durch den Karlsruher Senat aber nicht stand. „Mit dem heimlichen Vorgehen konnte beim Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Vorsitzende sich nicht mehr unparteilich ihm gegenüber verhielt“, entschied der BGH. Nun muss eine andere Jugendkammer des LG Traunstein den Fall erneut verhandeln.
Hinzu kommt: Inzwischen wackelt auch die zentrale Zeugenaussage. Ein forensisch-psychologischer Sachverständiger kam zu dem Schluss, dass die Angaben des Hauptbelastungszeugen aus dem ersten Verfahren nicht glaubwürdig seien. Damit sah das Landgericht Traunstein keinen dringenden Tatverdacht mehr. Der Haftbefehl wurde aufgehoben, der Mann aus dem Gefängnis entlassen.
Verteidigung kritisiert ersten Prozess scharf
Anklageverlesung, Beweisaufnahme – an diesem Montag begann das Verfahren im Laufener Amtsgericht noch einmal ganz von vorn. Der Angeklagte wird dabei gleich von mehreren Verteidigern vertreten.
Zu ihnen gehört Regina Rick, die auch Justizopfer Manfred Genditzki in dessen erfolgreichem Wiederaufnahmeverfahren vertrat. Sie hat drei Gutachten vorgelegt, die belegen sollen, dass die Studentin nicht getötet wurde, sondern bei einem Unfall ums Leben kam. Nach Angaben seiner Verteidiger weist der junge Mann die Mordvorwürfe zurück, wolle sich ansonsten aber „schweigend verteidigen“, wie sein Anwalt Yves Georg am Montagmorgen nach der Anklageverlesung erklärte.
Die Verteidiger des Angeklagten gehen davon aus, dass es sich um einen tödlichen Unfall handelte und W. ohne Fremdeinwirkung in den Bach fiel. Georg nutzte sein Opening Statement (§ 243 Abs. 5 S. 3 Strafprozessordnung) zu Beginn der Verhandlung, um mit der Vorsitzenden Richterin abzurechnen, warf ihr das „Fehlen der gebotenen richterlichen Distanz“ vor, „Unkenntnis, Hybris und Befangenheit“ sowie „grotesken Unfug“.
Das ging so lange, bis der Anwalt von Hannas Vater, der als Nebenkläger in dem Verfahren auftritt, einen Antrag auf Unterbrechung stellte. Das, was die Verteidigung da vortrage, habe mit einem Opening Statement nichts mehr zu tun.
Neue Richterin: „Eine furchtbare Tragödie“
Die neue Vorsitzende Richterin Heike Will mahnte vor der Anklageverlesung zur Besonnenheit. Der Tod der jungen Frau sei eine furchtbare Tragödie, es sei nachvollziehbar und auch menschlich, wenn ein Bedürfnis bestehe, jemanden zur Verantwortung zu ziehen. Wenn der Angeklagte jedoch unschuldig im Gefängnis gesessen habe, dann habe dies das Leben des jungen Mannes nachhaltig verändert. Es sei nun Aufgabe des Gerichts, die Vorwürfe aufzuklären, soweit sie sich aufklären ließen.
26 Verhandlungstage hat das Landgericht Traunstein für den Prozess angesetzt. Das Urteil könnte demnach kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember, fallen.
dpa/xp/LTO-Redaktion
Zitiervorschlag
Nach Aufhebung des „Eiskeller“-Mordurteils:
. In: Legal Tribune Online,
29.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58257 (abgerufen am:
29.09.2025
)
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