Das Bundesverfassungsgericht muss den Bruch der deutschen Aufnahmezusagen für bedrohte Afghan:innen überprüfen. Ein afghanischer Ex-Richter erhob nun eine Verfassungsbeschwerde und einen Eilantrag

Nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr 2021 hat Deutschland über 36.000 Menschen aus Afghanistan aufgenommen, darunter rund 20.000 ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Organisationen. Rund 2.000 Afghan:innen warten aber noch in Pakistan. Sie verließen Afghanistan, weil sie eine Aufnahmezusage Deutschlands erhalten hatten. 

Allerdings stoppte die neue schwarz-rote Bundesregierung alle Aufnahmeprogramme, um die Zusagen neu zu prüfen. In Pakistan leben die Afghanen in Guesthouses, die Deutschland finanziert, doch droht ihnen inzwischen die Abschiebung nach Afghanistan. Die pakistanische Regierung will nicht länger warten, bis sich die deutsche Bundesregierung eine Meinung gebildet hat.

Die Lage des Richters

In dieser Situation ist auch der afghanische Richter. Er erhielt im Dezember 2022 eine Aufnahmezusage der Bundesregierung. Daraufhin verließ er mit seiner Frau und vier Kindern Afghanistan, um bei der deutschen Botschaft in Pakistan ein Visum für Deutschland zu beantragen. Doch es ging nicht voran. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sieht sich der Richter hochgradig gefährdet, da er auch Taliban-Mitglieder verurteilt hatte. Aus Rache hatten die Taliban 2021 bereits seinen Vater ermordet. Inzwischen verbirgt sich die Familie in Parks und Wäldern, so groß ist die Angst vor der Abschiebung nach Afghanistan.

Der Richter klagte im Sommer 2025 gemeinsam mit Dutzenden anderen Afghan:innen beim Verwaltungsgericht Berlin auf Erteilung von Visa und hatte zunächst Erfolg. Doch Ende August wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg die Eil-Klage in der nächsten Instanz ab. Die erhaltene Aufnahmezusage sei kein Verwaltungsakt, der den Klägern Rechte gebe, die Zusage müsse daher nicht umgesetzt werden. 

Das OVG differenziert dabei nach der Art des Aufnahmeprogrammes: Wer eine Zusage des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (BAP) hat, klagt meist mit Erfolg. Hier habe die Bundesrepublik eine verbindliche Zusage gemäß Paragraf 23 Aufenthaltsgesetz gegeben. Diesen bestandskräftigen Verwaltungsakt könne sie nicht einfach aus politischen Gründen widerrufen. 

Anders sieht es mit den drei anderen Programmen aus: dem Ortskräfte-Programm, der Übergangsliste (die dem BAP vorausging) und der noch früheren Menschenrechts-Liste. Hier handelte es sich um ältere Programme, bei denen eher humanitäre Aufnahmezusagen im Einzelfall gem. § 22 Aufenthaltsgesetz gegeben wurden. Laut OVG waren die Aufnahmeentscheidungen hier „Ausdruck autonomer Ausübung des außenpolitischen Spielraums des Bundes“. Die Erklärung der Aufnahmebereitschaft sei hier „eine Maßnahme mit bloß innerbehördlichem Charakter, die Einzelnen subjektive Rechte nicht vermittelt.“ Der afghanische Richter stand auf der Übergangsliste, hat laut OVG also keine verbindliche Zusage erhalten.

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Gegen die Eil-Entscheidung des OVG hat der afghanische Richter mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) nun Verfassungsbeschwerde eingelegt, verbunden mit einem Eilantrag. Der 184-seitige Schriftsatz von Rechtsanwalt Julius Becker liegt LTO vor.

Der Richter beruft sich auf Vertrauensschutz

Die etwas verschachtelte Verfassungsbeschwerde wirft dem OVG zunächst eine Verletzung des Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle gem. Art. 19 Abs. 4 GG (Justizgewährleistungsanspruch) vor. Das Gericht habe die grundrechtliche Dimension des Falles verkannt und sich nicht gründlich genug damit auseinandergesetzt.

Konkret gerügt wird dann vor allem der Anspruch auf Vertrauensschutz, der sich aus dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Exekutive nach Art. 20 Abs. 3 GG ergibt, der in Verbindung mit den Grundrechten auch individualschützend wirkt. Da es hier insbesondere um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit geht (Art. 2 Abs. 2 GG) sei das Gewicht des Vertrauensschutzes besonders groß.

Die Bundesregierung habe durch die individuelle Aufnahmezusage von Ende 2022 konkretes Vertrauen erzeugt. Der Empfänger musste davon ausgehen, dass die Zusage verbindlich ist. Tatsächlich wurden solche Zusagen ja auch in Tausenden von Fällen umgesetzt. Der Richter und seine Familie hätten deshalb schon seit zweieinhalb Jahren ihr Leben und ihre Dispositionen auf die zugesagte Aufnahme in Deutschland ausgerichtet.

Auch Aufnahmezusagen aus humanitären Gründen, die auf § 22 Aufenthaltsgesetz beruhen, seien verbindlich, so die Klage. Dafür spreche schon der Wortlaut der Vorschrift: „Eine Aufenthaltserlaubnis ist zu erteilen, wenn das Ministerium des Innern für Bau und Heimat (…) die Aufnahme erklärt hat.“

Zwar hat ein afghanischer Richter keinen Anspruch auf eine Aufnahmezusage durch Deutschland. Wenn aber eine Aufnahmezusage gegeben wurde, sei diese auch einzuhalten, so die Argumentation der Verfassungsbeschwerde. Es sei ähnlich wie bei der Begnadigung eines Straftäters. Auch auf den Gnadenakt bestehe kein Anspruch, doch wenn die Begnadigung ausgesprochen wurde, kann sie nicht einfach nach politischer Opportunität wieder rückgängig gemacht werden.

Auch habe im Fall des Richters kein Hindernis für die Erteilung der Visa bestanden. Er hatte alle erforderlichen Dokumente eingereicht, seine Identität stehe außer Zweifel. Im Januar 2025 hatte er auch sein Sicherheitsinterview in der deutschen Botschaft absolviert. Laut Regierungsauskunft gegenüber dem VG Berlin bestanden keine Sicherheitsbedenken gegen ihn.

Schutzpflichten für Afghanen

Zudem beruft sich der afghanische Richter auf eine grundrechtliche Schutzpflicht des deutschen Staates aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG. Deutschland habe, so die Klage, durch die freiwillige Aufnahmezusage eine Schutzverpflichtung übernommen, auf die der afghanische Richter und seine Familie auch vertraut haben.

Zwar werden Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage nach der Abschiebung in Kabul derzeit in einem „safe shelter“ untergebracht und von einem beauftragten Dienstleister versorgt. Die Taliban könnten aber jederzeit eindringen und Personen verhaften. Es sei auch keineswegs klar, wie lange Deutschland diese Unterstützung gewähren werde.

Verkannt habe das OVG schließlich auch die Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 GG, so die Klage. Die willkürliche Entziehung eines aus der Zusage folgenden Anspruchs auf Visumserteilung für alle Personen, denen bis Mai 2025 noch kein Visum erteilt wurde, sei eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte. Das OVG hätte zumindest eine Willkürprüfung vornehmen müssen, so nun die Verfassungsbeschwerde.

Noch vor einigen Jahren hätte eine derartige Verfassungsbeschwerde Skepsis ausgelöst, da sich hier ein Ausländer, der im Ausland lebt, auf deutsche Grundrechte beruft. Das ganz frische Ramstein-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juli hat aber klargestellt, dass aus deutschen Grundrechten auch eine Schutzpflicht des deutschen Staates für Ausländer im Ausland folgen kann, wenn ein hinreichender Bezug zur deutschen Staatsgewalt besteht. Mit der deutschen Aufnahmezusage für den afghanischen Richter stehe dieser Bezug hier außer Frage.

Allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde

Die Bedeutung der Verfassungsbeschwerde und des Eilantrags geht über den Einzelfall des Richters und seiner Familie hinaus. In Pakistan warten und bangen noch rund 870 Afghan:innen mit ähnlichen Zusagen aus älteren deutschen Aufnahmeprogrammen.

Im Bundesverfassungsgericht ist derzeit wohl noch Richter Ulrich Maidowski als Berichterstatter für den Fall zuständig. Allerdings wird Maidowski in den nächsten Tagen oder Wochen ausscheiden. Seine Nachfolgerin Ann-Katrin Kaufhold wurde vorige Woche bereits gewählt. Der Bundespräsident hat Kaufhold aber bisher nicht ernannt. Der Richterwechsel könnte das Verfahren also noch verzögern – oder beschleunigen. Denn Richter Maidowski ist als Sohn eines internationalen Lehrers einige Jahre in Afghanistan aufgewachsen und hat deshalb vielleicht ein besonderes Interesse daran, den Beschluss im Eilverfahren noch selbst vorzubereiten.

Zitiervorschlag

Verfassungsbeschwerde wegen Aufnahmezusage:

. In: Legal Tribune Online,
30.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58280 (abgerufen am:
01.10.2025
)

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