Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November 2023 an einem Treffen teilgenommen haben sollen

“Nicht die geringste Irritation darüber, dass die Wirklichkeit außerhalb des Sitzungssaals diametral zur eigenen Auslegung steht.”. Foto: jordi2r/Adobe.stock.com

Darf Correctiv von einem „‚Masterplan‘ zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ schreiben, obwohl es in Potsdam nicht um Ausweisungen ging? Ja, meint das LG Hamburg und blendet dabei die Wirkungen des Artikels auf Medien und Bürger aus.

Vor der 24. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg hieß es am Dienstag erneut Ulrich Vosgerau versus Correctiv. Der Staatsrechtler Vosgerau hat bereits mehrere Rechtsstreitigkeiten gegen das Recherchemedium geführt, auch Correctiv griff ihn juristisch an. Entsprechend häufig sind sich die jeweiligen Anwälte in den letzten Monaten begegnet. Diesmal bleibt es beim virtuellen Schlagabtausch. Vosgeraus Anwalt Dr. Carsten Brennecke (Höcker Rechtsanwälte) lässt sich via Skype zuschalten, Verbindungsprobleme lassen seine Stimme oft stocken, danach werden Brennecke Sätze im Schnelltempo wiedergeben. Correctiv-Anwalt Thorsten Feldmann sitzt zusammen mit seiner Kollegin Dr. Wiebke Fröhlich (JBB Rechtsanwält:innen) im Saal.

Während es bei den vorherigen Rechtsstreitigkeiten eher um Nebensächlichkeiten ging, steht an diesem Tag eine Kernaussage des Correctiv-Berichts auf dem Prüfstand – und zwar die Formulierung „‚Masterplan‘ zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“, die sich am Ende des Berichts findet. 

Große und kleine Medien dieses Landes und viele Bürger verstanden dies offenbar so, dass in Potsdam tatsächlich die Ausweisung oder Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund geplant wurde, und schrieben es genauso oder ähnlich auf. Zu nennen sind etwa ARD, ZDF, t-online, SPIEGEL, taz, der Verfassungsblog, prominente Anwälte. Auch LTO berichtete von Abschiebungsplänen gegenüber Deutschen. Die Folge dieser Berichterstattungswelle: In der Bevölkerung verbreitete sich in Windeseile die Vorstellung, dass eingebürgerte Nachbarn, Freunde und Kollegen ausgewiesen und abgeschoben werden sollen. 

Faktisch kein Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger

Allerdings: In Potsdam wurde über die Ausweisung und Abschiebung deutscher Staatsbürger nicht einmal diskutiert, geschweige denn ein entsprechender Plan vorgestellt. Dies hat Correctiv in anderen Gerichtsverfahren selbst eingeräumt. Es sei „zutreffend“, dass in Potsdam nicht über rechtswidrige Abschiebungen diskutiert wurde. Im „Gegenteil“ habe der Rechtsextremist Martin Sellner, der den Remigrationsplan vorstellte, die deutsche Staatsbürgerschaft „ausdrücklich als juristische Sperre für eine Ausweisung anerkannt“, so die Aussage von Correctiv in einem Verfahren vor dem Landgericht (LG) Hamburg am 19. Februar 2024 (Az. 324 O 61/24).

Zahlreiche Medien und Privatpersonen, die dem Correctiv-Bericht Ausweisungspläne gegenüber Deutschen entnahmen und dies als Tatsachenbehauptung weiterverbreiteten, verloren Gerichtsprozesse vor dem LG Hamburg. 

Erst danach verklagten Ulrich Vosgerau sowie der Organisator des Treffens Gernot Mörig auch Correctiv selbst auf Unterlassung. Die spannende Frage des Tages: Wird das LG Hamburg den Correctiv-Bericht selbst als mit- oder hauptverantwortlich für die fehlerhafte Berichterstattung andere Medien sehen? Oder kommt es zu dem Schluss, dass die anderen Journalisten den Correctiv-Bericht nicht gut genug gelesen haben?

Rechtsdogmatisch hat das LG zu entscheiden, ob in der Formulierung „‚Masterplan‘ zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ eine unwahre Tatsachenbehauptung oder eine zulässige Meinungsäußerung zu sehen ist.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Correctiv steht vor Sieg gegen Vosgerau und Mörig:

. In: Legal Tribune Online,
19.11.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58658 (abgerufen am:
20.11.2025
)

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