Knapp 60 Prozent der Deutschen finden, es werde zu wenig für gutes Essen in Schulen und Kindergärten getan. Veränderungen gehen nicht von heute auf morgen. Aber es gibt Ansätze, oft von ambitionierten Köchen.

Am kommenden Dienstag geht Dominik Tress, 38 Jahre, ausnahmsweise noch mal zur Schule. Ins Wildermuth-Gymnasium, Tübingen. Tress ist Geschäftsführer des Unternehmens Tressbrüder, das seinen Sitz in Hayingen auf der Schwäbischen Alb hat und mit 100 Beschäftigten unter anderem Bio-Restaurants sowie ein Bio-Hotel betreibt. Außerdem beliefert das Unternehmen, das von vier Brüdern geleitet wird – Dominik ist der Jüngste, Daniel mit 45 Jahren der Älteste –, 50 Kitas sowie 25 Schulen mit Mittagessen, von Stuttgart bis hinunter zum Bodensee. 3500 Mahlzeiten pro Tag. Auch in der Spitzengastronomie ist das Unternehmen nicht unbekannt: Simon Tress, einer der vier Brüder, ist Koch und mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet: einem regulären roten und einem grünen. Den gibt es seit 2020 für besonderes Engagement in Sachen Nachhaltigkeit.

Seit Beginn des neuen Schuljahrs beliefern die Tressbrüder 18 Grund- sowie drei weiterführende Schulen in Tübingen mit Mittagessen. Und darum ist Dominik Tress am Dienstag zum Schulbesuch eingeladen: um bei einer Sitzung des Gesamtelternbeirats das neue Konzept fürs Essen vorzustellen. Was der Nachwuchs serviert bekommt, das möchten Eltern nun mal gern wissen. Zumal dann, wenn die Speisen von einem Unternehmen kommen, in dem ein Bio-Sternekoch am Herd steht. Die Gerichte seien „frisch, ausgewogen, ballaststoffreich“, sagt Dominik Tress. Zudem frei von Zusatzstoffen und künstlichen Geschmacksverstärkern. Letztere sorgen dafür, dass sich beim Essen schnell Wohlgefühl einstellt, obwohl die Gesundheit nicht zwingend profitiert. Mal gebe es Nudeln mit Soße, mal Kartoffeln mit Kräuterquark, mal Geschnetzeltes vom Bioland-Rind, sagt Tress. Es standen auch schon mal Linsenbratlinge mit Dipp auf dem Speiseplan, doch die waren, räumt er ein, „zu exotisch“. Sein Bruder, der Sternekoch, bereite die Gerichte zwar nicht eigenhändig zu, sei aber an der Produktentwicklung beteiligt.

Laut einer Studie, die die Umweltorganisation WWF Deutschland im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hat, sind knapp 60 Prozent der Deutschen der Ansicht, Bund, Länder und Gemeinden engagierten sich zu wenig für eine gesunde, leckere, nachhaltige Ernährung in Kitas und Schulen. Schätzungsweise sechs Millionen Kinder bekommen ihr Mittagessen in einer dieser Einrichtungen. Branchen-Platzhirsch ist die westfälische Firma Apetito, die nach eigenen Angaben 2024 mit weltweit 12.600 Beschäftigten 1,35 Milliarden Euro umsetzte und täglich 1,2 Millionen Mahlzeiten ausliefert, davon 450.000 an deutsche Kitas und Schulen. Da mutet das kulinarische Engagement abseits des Mainstreams im Vergleich bescheiden an. Allerdings: Eine Ernährungswende gelingt nicht von heute auf morgen. Es braucht Vorreiter.

Der Koch Stefan Marquard – er bezeichnet sich selbst als „Rebell am Herd“, in seiner Zeit als Küchenchef des Restaurants „Drei Stuben“ in Meersburg am Bodensee hatte er einen Michelin-Stern – rief zusammen mit der Knappschafts-Krankenkasse die Aktion „Sterneküche macht Schule“ ins Leben. Seitdem tourt der Vater zweier Kinder von Schule zu Schule, um das Bewusstsein zu schärfen, wie sich gesundes und zugleich günstiges Schulessen zubereiten lässt. Im Mai dieses Jahres war der Koch, bekannt durch TV-Auftritte und seinen Rockstar-Look, an einem Gymnasium in Krefeld zu Gast und rührte zum Mittagessen eine vegane Bolognese zusammen. Für einen Euro pro Person und mit, so Marquard, „unglaublich viel Gemüse“. Später hätten ihm die Kinder gestanden, sie hätten das Gemüse gar nicht herausgeschmeckt. Ein Höchstlob, denn Gemüse aller Art findet sich ganz weit unten in der Liste derjenigen Lebensmittel, die Kinder mögen.

Solche Beispiele gibt es einige. Mit seinem Unternehmen „Wackelpeter“ beliefert Jens Witt im Großraum Hamburg 130 Kitas mit Mittagessen. „3300 Essen pro Tag. 100 Prozent Bio“, sagt er. Gerade baue er seine Küche um. Sein Ziel: „5000 Essen pro Tag.“ Er sei kein Missionar, betont er. „Ich mache ein Angebot für diejenigen, die es anders haben wollen.“

Im rheinland-pfälzischen Boppard, im Industriepark Hellerwald, eröffnete das Ehepaar Sarah Henke und Christian Eckhardt 2023 das Restaurant „Lemabri“. Henke war zuvor Küchenchefin im „Yoso“ in Andernach und mit einem Michelin-Stern dekoriert. Eckhardt erkochte im Restaurant „Purs“, ebenfalls Andernach, zwei Sterne. In ihrem eigenen Restaurant haben sich die Eltern eines Kleinkindes auf kinderfreundliche Gastronomie spezialisiert. Außerdem kochen sie für eine Kita, die bis zu 80 Kids Platz bietet und im selben Haus wie das Restaurant zu finden ist. Sarah Henke, geboren in Südkorea, erzählt, dass sie mit anderthalb Jahren von ihren Eltern in Seoul auf der Straße ausgesetzt wurde. Ein Findelkind demnach. Das prägt fürs Leben. Und führt in diesem Fall dazu, dass das Ehepaar für die Kleinsten nur das Feinste will.

Das perfekte Essen für Kinder und Jugendliche gibt es nicht. „Aber man kann auf einige Dinge achten: Kinder sollten gegartes Gemüse immer mit konzentrierter Energie, in Kombination mit Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Fleisch, Fisch oder Eiern essen“, sagt Andrea Maier-Nöth, Professorin in Sigmaringen, Gesundheitspsychologin und auf präventive Ernährungskonzepte spezialisiert. Vorlieben und Abneigungen entstünden im Kleinkindalter. Darum sei es wichtig, Kindern eine Vielfalt an Lebensmitteln anzubieten. Wichtig auch: Geduld. „Kinder benötigen Zeit, um einen neuen Geschmack kennenzulernen. Pädagogische Fachkräfte brauchen Durchhaltevermögen. Sie dürfen nicht zu früh aufgeben.“ Sechs Wochen für die Umgewöhnung ist das Minimum.

Dominik Tress kann ein Liedchen davon singen. In den Tübinger Schulen wurde das Dessert gestrichen, weil die Eltern laut einer städtischen Umfrage weniger Süßes auf dem Speiseplan haben wollten. Plötzlich kein Schokopudding mehr! Das sorgte für die eine oder andere spontane Schnappatmung. Klar, denn ein Kind, das den Hauptgang nicht mag, nimmt sich stattdessen drei Puddingschalen und ist danach satt. Mittlerweile, sagt Tress, bekomme er sehr viel positives Feedback. Die Betreuerinnen in den Kitas beispielsweise berichteten, die Kinder hätten jetzt weniger Verdauungsprobleme. Je besser das Essen, desto gesünder die Darmflora. „Die Nachfrage ist enorm“, sagt er. „Wir bekommen ständig neue Anfragen.“ Kein Grund also zum Kopfzerbrechen, wenn er am Dienstag wieder die Schulbank drücken muss – der Mann hat seine Hausaufgaben gemacht.