Begeht ein Jugendlicher eine Straftat, können die Eltern dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Denn auch für bereits strafmündige Minderjährige treffe sie die Pflicht, Schädigungen Dritter durch das Kind zu verhindern.
Examensrelevante Entscheidung zur Strafbarkeit durch unechtes Unterlassen nach § 13 Strafgesetzbuch (StGB): Danach kann sorgeberechtigte Eltern aufgrund einer strafrechtlichen Garantenstellung auch eine Sicherungspflicht für ihre bereits strafmündigen minderjährigen Kinder treffen. Liegen konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der Kinder vor, müssten Eltern Maßnahmen ergreifen, um Schädigungen Dritter durch das Kind zu verhindern. Das hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem jetzt veröffentlichten Revisionsurteil entschieden (Urt. v. 07.10.25, Az. 3 StR 11/25). In der Leitsatzentscheidung präzisiert der Senat auch die Voraussetzungen einer psychischen Beihilfe nach § 27 StGB.
Im konkreten Fall ging es um ein Familiendrama, das sich im Jahr 2022 wenige Tage nach Weihnachten in einem Einfamilienhaus in Gerolstein (Rheinland-Pfalz) abspielte und in einem brutalen Mord an einem damals 53-jährigen Arzt endete. In dem Haus wohnte die angeklagte Julia L. (damals 35) damals noch zusammen mit ihrem Ex-Lebensgefährten und späteren Mordopfer Steffen B., einem Orthopäden. Beide hatten sich bereits voneinander getrennt, wohnten aber noch unter einem Dach wie in einer Wohngemeinschaft. Außerdem lebten in dem Haus drei gemeinsame minderjährige Kinder der beiden sowie noch der aus einer früheren Beziehung stammende 16-jährige Sohn der Angeklagten, S.-J.
Nach den Feststellungen des Landgerichts (LG) Trier hatte S.-J. mit seiner Mutter bereits Tage vor dem Tattag besprochen, dass er und sein (nicht mit der Mutter verwandter) gleichaltriger Halbruder W. den verhassten B. töten wollen. Am besten durch Schläge von hinten auf den Kopf, lautete der Plan. Die Mutter stimmte per Nicken zu. Dann sagte sie, die beiden Teenager sollten sich „mal überlegen, wie man den B. am besten loswerden könnte.“
LG verurteilte Mutter „nur“ wegen unterlassener Hilfeleistung
Am 30. Dezember 2022 kam es dann zu dem brutalen Verbrechen. Gemeinsam mit W. erschlug und strangulierte S.-J. den B. im Obergeschoss des Hauses. Mutter L., eine ausgebildete Krankenschwester, befand sich in der Küche im Erdgeschoss. Obwohl sie das Geschehen laut Feststellungen des LG wahrnahm, verließ sie wortlos die Küche und ging in das zweite Obergeschoss des Hauses, ohne die beiden Jugendlichen von dem fortdauernden Angriff auf ihren Ex-Lebensgefährten abzuhalten oder ihm als gelernte Krankenschwester Hilfe zu leisten. Den Leichnam vergruben L. und die Jugendlichen dann am Silvestertag in einem Waldstück. Das Fahrzeug, mit dem die Leiche abtransportiert worden war, setzten sie in Brand. Erst Monate später fanden Spaziergänger Teile von B.s Leiche.
Das LG Trier verurteilte die beiden Jugendlichen daraufhin nach Jugendstrafrecht wegen (heimtückischen) Mordes. Bei L. lautete Schuldspruch indes „nur“ auf unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c StGB (Urt.v. 27.08.2024, 2a KLs 8032 Js 2825/23.jug). Nach Ansicht des LG kann sie weder als Mittäterin noch als Gehilfin des Tötungsdelikts verurteilt werden.
Für eine Strafbarkeit wegen Unterlassens, so das LG, mangele es an einer Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB. So habe die Frau weder die Stellung einer Beschützergarantin ihrem Ex-Lebenspartner gegenüber gehabt, weil nach der Trennung des Paares ein Zusammenleben ähnlich einer Wohngemeinschaft eine derartige Schutzpflicht nicht begründen könne. Noch sei sie als Überwachungsgarantin verpflichtet gewesen, ihren minderjährigen Sohn von der Straftat abzuhalten. Dieser sei als 16-Jähriger nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug gewesen, das Unrecht seines Handelns einzusehen und zu erkennen, welche Gefahren davon ausgehen. Eine psychische Beihilfe durch aktives Tun scheide aus, weil die Mutter nur genickt habe, bevor die Jugendlichen den konkreten Tatentschluss fassten.
BGH konkretisiert „Überwachungsgarantenstellung“
Dieser rechtlichen Wertung schloss sich der BGH auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin jedoch nicht an. Sehr wohl komme eine Verurteilung der Mutter als Mittäterin wegen Mordes in Betracht – und zwar durch (unechtes) Unterlassen gemäß § 13 Abs.1 StGB. Die sorgeberechtigte Mutter, so der BGH, habe im Verhältnis zu ihrem minderjährigen Sohn, mit dem sie in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebte, eine „Überwachungsgarantenstellung“ inne gehabt, die sie dazu verpflichtet hätte, ihn von der Tatausführung abzuhalten.
Diese für § 13 Abs.1 StGB erforderliche Garantenstellung sei auch losgelöst davon zu beurteilen, ob der 16-Jährige für die – von der Angeklagten nicht verhinderte – Tat im Sinne des § 3 Satz 1 Jugendgerichtsgesetz strafrechtlich verantwortlich sei, so der BGH. „Die Garantenpflicht besteht auch, wenn das Kind bereits strafmündig ist. Denn die umfassende rechtliche Einstandspflicht aus dem Gedanken der institutionellen familiären Beziehung endet – wie sich aus § 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 und § 832 BGB ergibt – nicht vor dem Eintritt der Volljährigkeit“, heißt es im Urteil.
Allerdings stellte der BGH auch klar, dass die „Überwachung“ insbesondere von älteren Kindern durch ihre Eltern – in dem Fall durch die Mutter – Grenzen habe. Welche Maßnahmen erforderlich und zumutbar sind, richte sich danach, „was verständige Eltern nach vernünftigen Maßstäben tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern“. Entscheidend sei auch, ob konkrete Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Kindes vorliegen.
Im konkreten Fall kam der BGH nunmehr zum Ergebnis, dass L. geeignete Mittel zur Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten. „Nach den Darlegungen in den Urteilsgründen hätte sie ihrem Sohn, als sie den von ihm eingeleiteten Angriff auf das Tatopfer erkannte, die Fortsetzung der Tat untersagen können; zusätzlich hätte sie – als examinierte Krankenschwester – eine Erstversorgung vornehmen können.“ Es hätte die begründete Aussicht bestanden, so der BGH, durch verbales Einschreiten das Leben ihres vormaligen Lebensgefährten zu retten bzw. dieses mehr als nur geringfügig zu verlängern.
Psychische Beihilfe auch vor Tatentschluss des Haupttäters möglich
Fehlerhaft sei das Urteil des LG Trier aber auch deshalb, so der BGH, weil das Gericht nicht geprüft habe, ob die Frau möglicherweise auch aktive Beiträge zur Tötung ihres ehemaligen Partners geleistet hat. Nach Auffassung des Senates könne schließlich in dem Nicken der Angeklagten auf das Tötungsansinnen ihres Sohnes einige Zeit vor dem eigentlichen Kerngeschehen eine nach § 27 Abs. 1 StGB relevante Tatförderung liegen. Konkret komme eine psychische Beihilfe in Betracht, so der BGH.
Dieser stehe auch nicht entgegen, dass die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt den Tatentschluss noch nicht gefasst hatten, sondern nur ersichtlich „tatgeneigt“ gewesen seien. „Eine solche psychisch vermittelte Hilfeleistung zu einer Zeit zu erbringen, bevor der Haupttäter den Tatentschluss fasst, ist nicht ausgeschlossen“, stellte der BGH klar. Darüber hinaus könne auch die Äußerung der Frau gegenüber den Jugendlichen, sie sollten sich „mal überlegen, wie man B. loswerden“ könne, eine Tatförderung darstellen.
Nach dem Urteil des BGH muss sich nun das Schwurgericht am LG Trier erneut mit dem möglichen Beitrag von L. an der Tat befassen. Den Schuldspruch des LG wegen unterlassener Hilfeleistung hob der 3. Senat auf, ohne diesen jedoch selbst zu ersetzen. Begründung: Die vom LG getroffenen Feststellungen ließen keine abschließende Beurteilung zu, „ob die Angeklagte den Todeserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte verhindern oder mehr als nur geringfügig verzögern können, sie Mittäterin oder Gehilfin war, sich ihr Vorsatz – was allerdings naheliegt – auf den Todes-, nicht nur einen Körperverletzungserfolg erstreckte und sie sich das Mordmerkmal der Heimtücke zurechnen lassen muss“.
Zitiervorschlag
BGH-Leitsatz zur Garantenstellung:
. In: Legal Tribune Online,
17.12.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58887 (abgerufen am:
17.12.2025
)
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