Der Europäische Gerichtshof erklärt zentrale Berechnungsvorgaben für ungültig, bestätigt aber Deutschlands Pflicht zur Vorlage eines Nationalen Aktionsplans bis Jahresende.

Die EU-Mindestlohnrichtlinie steht nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs auf wackeligen Beinen. Während die Kernverpflichtung für Deutschland bleibt, sind zentrale Vorgaben zur Lohnfestsetzung nichtig. Für Personalabteilungen und die Bundesregierung beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit.

Kern bleibt, Details fallen: Ein Richterspruch mit Folgen

In einem wegweisenden Urteil vom 11. November 2025 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Teile der EU-Mindestlohnrichtlinie für ungültig erklärt. Das Gericht sah in bestimmten Vorgaben zur Berechnung von Mindestlöhnen eine unzulässige Einmischung in die Lohnfestlegung – eine Kompetenz, die ausdrücklich bei den Mitgliedstaaten liegt. Konkret kippte der EuGH Artikel 5(2) und Teile von Artikel 5(3) der Richtlinie.

„Das Gericht hat eine klare Grenze gezogen“, analysieren Rechtsexperten der Luther Kanzlei. „Die EU kann angemessene Löhne fördern, aber sie kann den Mitgliedstaaten keine mathematische Formel oder spezifische wirtschaftliche Kriterien für deren Berechnung vorschreiben.“ Die annullierten Passagen betrafen verbindliche Kriterien wie Kaufkraftparität oder die Verteilung der Lohnverteilung. Auch das Verbot, dass Indexierungsmechanismen zu Lohnsenkungen führen dürfen, ist hinfällig.

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Die annullierten Passagen betrafen verbindliche Kriterien wie Kaufkraftparität oder die Verteilung der Lohnverteilung. Auch das Verbot, dass Indexierungsmechanismen zu Lohnsenkungen führen dürfen, ist hinfällig.

Druck auf Berlin: Nationaler Aktionsplan bleibt Pflicht

Trotz dieser Streichungen bestätigte der EuGH den Kern der Richtlinie. Die Verpflichtung für Mitgliedstaaten mit einer Tarifbindung unter 80 Prozent, einen Nationalen Aktionsplan vorzulegen, bleibt in vollem Umfang bestehen. Für Deutschland, wo die Tarifbindung bei nur etwa 50 Prozent liegt, hat diese Entscheidung massive Konsequenzen.

Die Uhr tickt: Bis zum 31. Dezember 2025 muss die Bundesregierung ihren Plan zur Stärkung der Tarifbindung in Brüssel einreichen. Ein Sprecher von ver.di stellt klar: „Die Teilnichtigerklärung entbindet Deutschland nicht von seiner Hausaufgabe. Die Verpflichtung, einen Fahrplan vorzulegen, besteht unverändert weiter.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wertet die Bestätigung dieser Pflicht als „guten Tag für Millionen Beschäftigte“. Sie zwingt die Politik, konkrete Schritte gegen den seit Jahren rückläufigen Organisationsgrad zu unternehmen.

Was bedeutet das für deutsche Unternehmen?

Für Arbeitgeber in Deutschland bringt das Urteil eine Mischung aus Kontinuität und neuen Herausforderungen. Die unmittelbaren Auswirkungen sind zweigeteilt.

1. Stabilität beim gesetzlichen Mindestlohn
Die deutsche Mindestlohnkommission behält ihre Autonomie. Sie ist nicht an EU-weite Berechnungskriterien wie „60 Prozent des Medianlohns“ gebunden, auch wenn diese als Referenzpunkte dienen können. Die bereits beschlossenen Erhöhungen auf 13,90 Euro ab 1. Januar 2026 und auf 14,60 Euro in 2027 bleiben davon unberührt.

2. Der Fokus verschiebt sich zur Tarifpolitik
Die überlebende Pflicht zum Nationalen Aktionsplan deutet auf baldige gesetzliche Änderungen hin. Personalabteilungen sollten sich auf folgende Maßnahmen einstellen:
Verschärfte Tariftreue: Öffentliche Aufträge könnten noch stärker an die Einhaltung von Tarifverträgen geknüpft werden.
Erleichterter Gewerkschaftszugang: Neue Regelungen könnten den Zugang von Gewerkschaften zu Betrieben – auch digital – vereinfachen, um die Organisation zu erleichtern.
Mitgliedschaftsanreize: Diskussionen über steuerliche Anreize für Gewerkschaftsmitgliedschaft oder „Opt-out“-Modelle dürften 2026 an Fahrt aufnehmen.

Ein salomonisches Urteil mit europäischer Signalwirkung

Rechtsexperten bezeichnen das Urteil als „salomonisch“. Es beruhigt die Befürchtungen vor einem kompletten Scheitern der Richtlinie, kommt aber zugleich den Souveränitätsbedenken von Ländern wie Dänemark und Schweden entgegen. Diese verteidigten mit ihrer Klage erfolgreich ihr „Nordisches Modell“, das ohne gesetzlichen Mindestlohn auskommt.

Für den europäischen Binnenmarkt zementiert das Urteil jedoch den rechtlichen Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte. „Das Urteil bestätigt, dass die EU zwar nicht die Löhne festsetzen kann, aber sehr wohl die Mitgliedstaaten zwingen kann, die Bedingungen für höhere Löhne durch Tarifverhandlungen zu schaffen“, so die Arbeitsrechtsexperten von Norrbom Vinding.

Alle Blicke richten sich nun auf Berlin. Der in der nächsten Woche fällige Nationale Aktionsplan wird zeigen, wie die Bundesregierung die Lücke von 30 Prozentpunkten zum EU-Ziel von 80 Prozent Tarifbindung schließen will. Die Antwort darauf wird die Personal- und Tariflandschaft in Deutschland für das kommende Jahrzehnt prägen.

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