Ab einem Streitwert von einer halben Million Euro können internationale Unternehmen ihre wirtschaftlichen Streitigkeiten künftig in Hamburg vor Spezialsenaten ausgetragen. Jene Commercial Courts sollen den Justizstandort Deutschland wettbewerbsfähiger machen.

Es zählte zu einem der letzten Vorhaben, das die scheidende Ampelregierung noch umsetzte: das „Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts“, im Juli 2024 vom Bundestag beschlossen, am 1. April dieses Jahres in Kraft getreten. In Hamburg haben diese speziellen Gerichte nun ihre Arbeit aufgenommen und ermöglichen international agierende Unternehmen, ihre wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten künftig auch in englischer Sprache auszutragen. Damit werde Hamburg „seiner Rolle als Metropole des Rechts im Norden noch einmal mehr gerecht“, sagt Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).

In der Praxis bedeutet das, dass der beim Hanseatischen Oberlandesgericht angesiedelte Commercial Court für Verfahren ab einem Streitwert von einer halben Million Euro in deutscher oder englischer Sprache zuständig ist. Ein Senat ist auf bau-, banken- und finanzrechtliche Streitigkeiten sowie Auseinandersetzungen nach Firmenzusammenschlüssen spezialisiert. Ein zweiter Senat hat seinen Schwerpunkt beim Versicherungs-, Transport-, Verkehrs- und Schifffahrtsrecht. Ab einem Streitwert von mehr als 5000 Euro verhandeln ferner und ebenfalls ab sofort zwei Commercial Chambers beim Landgericht Hamburg vollständig auf Englisch.

Aus Sicht von Justizsenatorin Gallina lebt der „Rechts- und Wirtschaftsstandort Hamburg von seiner weltweiten Kooperation“. Der Internationale Seegerichtshof, eine Lokalkammer des Einheitlichen Patentgerichts und diverse traditionsreiche Schiedsgerichte seien in der Hansestadt zu Hause. „Jetzt gehen wir den logischen nächsten Schritt in die Zukunft. Mit dem für Wirtschaftsstreitigkeiten optimierten Verfahren und den hierauf spezialisierten Richter:innen wird das Angebot der Justiz passgenau ergänzt“, so die Grünen-Politikerin. Das stärke den Rechtsstandort Hamburg, seine internationale Ausrichtung sowie den Rechtsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb.

Mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz ermächtigt der Bundesgesetzgeber die Bundesländer, jene spezialisierten Spruchkammern für Handelssachen einzurichten. Die Länder sind frei, hiervon Gebrauch zu machen – und so bleibt abzuwarten, wie sie das Gesetz mit Leben füllen. Ziel des Bundesgesetzgebers war es zudem, durch länderübergreifende Kooperation ein „inflationäres Entstehen“ von Commercial Courts zu vermeiden. Neben Hamburg haben die Spezialsenate bereits in Düsseldorf, Frankfurt/Main, Stuttgart und Berlin ihre Arbeit aufgenommen.

Verdrängung unserer Sprache in der Justiz?

Die AfD-Fraktion im Bundestag hatte im Juli 2024 gegen den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit“ gestimmt. Zur Begründung hieß es damals aus der Fraktion: Der deutsche Staat sei kein Wirtschaftsunternehmen, „welches um Marktanteile zu konkurrieren hat“.

Vielmehr müsse der Staat dem Fortbestand der Nation dienen. „Dazu gehört es, dass die Sprache dieser Republik die deutsche Sprache ist und bleibt.“ Die AfD warnte davor, dass nun auch im Kernbereich des Staates, in der Justiz, „der Prozess der Verdrängung unserer Sprache beginnt“. Das berühre den „nationalen und demokratischen Charakter unseres Staatswesens“.

Hamburg indes sieht die Einrichtung als Chance. „Der Commercial Court beim Hanseatischen Oberlandesgericht ermöglicht eine zügigere Klärung von wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten“, betont der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Marc Tully. Gleichzeitig stünden „unsere unabhängigen Richterinnen und Richter für eine hohe juristische Qualität der Entscheidungen ein“. Tully weiter: „Wir laden mit der Einrichtung des Commercial Court insbesondere auch alle internationalen Unternehmen ein, zu uns zu kommen und davon zu profitieren.“

Mit Blick auf die Commercial Chambers verweist Landgerichts-Präsidentin Birte Meyerhoff darauf, dass „viele unserer Richterinnen und Richter eine vertiefte Expertise im internationalen Wirtschaftsrecht und vielfältige Erfahrung im Bereich der internationalen Prozessführung und Schiedsgerichtsbarkeit mitbringen – sowohl aus richterlicher als auch aus anwaltlicher Sicht“. Daraus folgten „optimale Prozessbedingungen für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten am Landgericht Hamburg“.

Und so können Unternehmen künftig vor dem Commercial Court am Hanseatischen Oberlandesgericht wirtschaftsrechtliche Verfahren führen, wenn sie erstinstanzlich dessen Zuständigkeit vereinbaren. Zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen könne bei Verhandlungen die Öffentlichkeit ausgeschlossen und der Verfahrensgegner verstärkt zur Diskretion verpflichtet werden, hieß es weiter. Gegen die Entscheidungen des Commercial Court ist Revision zum Bundesgerichtshof möglich.