Unwahre Tatsachenbehauptungen oder jedenfalls „willkürlich aus der Luft gegriffene“ Meinungsäußerungen: Das LG Berlin II hat dem Staatsrechtler Ulrich Vosgerau gegen Correctiv in Nebenaspekten Recht gegeben.

Staatsrechtler Ulrich Vosgerau hat sich vor dem Landgericht (LG) Berlin II erfolgreich gegen ihm zugeschriebene Aussagen im kontroversen Bericht „Geheimplan gegen Deutschland“ von Correctiv gewehrt (Urt. v. 16.09.2025, Az. 27 O 135/25).  Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg war Vosgerau im einstweiligen Rechtsschutz bei genau diesen beiden Aussagen nicht erfolgreich.

Hintergrund ist der Correctiv-Bericht  von Januar 2024 unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ Dort geht es um ein Treffen von rechten Politikern und Rechtsextremen in Potsdam Ende November 2023. Laut der Recherche hielt der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner einen Vortrag über „Remigration“ und sprach darüber, dass gegenüber Staatsbürgern, die nicht assimiliert sind, „Anpassungsdruck“ erzeugt werden müsse. Der Veranstalter Gernot Mörig habe gesagt, es gehe darum, „ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“. Im Resümee des Artikels heißt es, dass es in Potsdam um einen Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger gegangen sei. 

Im Eilverfahren noch größtenteils erfolgreich

Ulrich Vosgerau zog in der Folge gegen Correctiv vor Gericht, mit dem Ziel, Äußerungen aus dem Bericht untersagen zu lassen. Dabei ging es jedoch zunächst nur um Randaspekte der Recherche, also nicht um zentrale Aussagen. Zunächst ging er im Eilverfahren vor das LG Hamburg, welches ihm nur in einem Punkt recht gab.  Die sofortige Beschwerde von Vosgerau vor dem OLG Hamburg hiergegen war erfolglos.  

Hiernach reichte Vosgerau die Hauptsacheklage ein. In Hamburg hätte eine solche Hauptsacheklage wohl wenig Sinn ergeben, da sich die Gerichte dort schon inhaltlich festgelegt hatten. Wegen des fliegenden Gerichtstands in Pressesachen (§ 32 Zivilprozessordnung (ZPO)) war es Vosgerau allerdings möglich, in jedem anderen Landgericht in Deutschland Klage einzureichen. Er entschied sich für das LG Berlin II. Dort verbuchte er nun einen Erfolg für sich: Zwei von Vosgerau weiter verfolgten Aussagen, die sowohl LG als auch OLG Hamburg als zulässig ansahen, beanstandeten die Berliner Richter nun in der Hauptsache, LTO liegt das Urteil vor. 

Unwahr oder jedenfalls „aus der Luft gegriffen“

Erstens ging es um folgende Aussage aus dem Correctiv-Bericht: „Der Verfassungsrechtler spricht über Briefwahlen, es geht um Prozesse, um das Wahlgeheimnis, um seine Bedenken in Bezug auf junge WählerInnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten.“ 

Die Äußerung sei aus Sicht des Durchschnittslesers mehrdeutig – und auf dessen Sicht komme es an. So könne die Äußerung so verstanden werden, dass Vosgerau gesagt habe, dass alle Wählerinnen türkischer Herkunft sich grundsätzlich keine unabhängige (politische) Meinung bilden könnten. Es ist aber laut LG zwischen den Parteien unstreitig, dass eine solche Aussage von Vosgerau in Potsdam nie gefallen ist. 

Correctiv hatte laut Urteil selbst vorgetragen, es behaupte im Artikel gar nicht, dass Vosgerau grundsätzlich die Fähigkeit von Wählerinnen türkischer Herkunft in Abrede gestellt habe, sich eine politische Meinung bilden zu können. Vosgerau habe gegenüber Correctiv mitgeteilt, dass er nur die konkrete Möglichkeit der Ausübung der freien Wahlentscheidung in bestimmten Fällen infrage gestellt habe; nämlich wenn die Frauen bei der Briefwahl von Familienmitgliedern unter Druck gesetzt würden.

Entsprechend handelt es sich für das LG Berlin II um eine – stets zu unterlassende – unwahre Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung, die „willkürlich aus der Luft gegriffen“ sei und auch zu unterlassen ist. In beiden Fällen sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht Vosgeraus verletzt. 

Man könne die Aussage auch nicht als „Zusammenfassung“ der Stellungnahme Vosgeraus seitens Correctiv verstehen, so das LG. Denn erstens habe Correctiv nicht darauf hingewiesen, dass Ausführungen von Vosgerau zusammengefasst wurden und damit den Interpretationsvorbehalt nicht deutlich gemacht. Zweitens bliebe selbst dann der Part „junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten“ als Aussage Vosgeraus stehen. Und diese sei unwahr.

Aber warum hatte das OLG Hamburg im Eilverfahren die Aussage durchgehen lassen? Es vertrat anders als das LG Berlin II die Auffassung, dass im Artikel deutlich werde, dass Vosgerau über Briefwahlen und das Wahlgeheimnis gesprochen habe. Es werde dadurch klar, dass Vosgerau nicht jungen türkischstämmigen Frauen allgemein die Fähigkeit zur freien Meinungsbildung abspreche. Das LG Berlin II nimmt zu diesem Argument im Urteil nicht ausdrücklich Stellung, sondern erwähnt lediglich, dass es wegen der Mehrdeutigkeit der Aussage offen bleiben könne, ob man ihr Bedeutung ausschließlich in Bezug auf Briefwahlen beimessen könnte oder nicht. 

LG: Correctiv betreibe „Framing“

Bei der zweiten angegriffenen Aussage Vosgeraus sieht das LG ebenfalls eine unwahre Tatsachenbehauptung von Correctiv. Es geht um den Satz „Auf Correctiv-Fragen hin bestätigt er diesen Satz später.“. Mit dem „Satz“ ist die eben behandelte Aussage gemeint. 

Vosgerau habe den „Satz“ nämlich nicht bestätigen können, weil er ihm gar nicht zur Stellungnahme vorgelegt worden sei, so das LG. „Einen Satz, den der Kläger nicht kennt, kann er nicht bestätigen“, fasst es im Urteil schlicht zusammen. Es wählt in der Folge deutliche Worte in Richtung Correctiv und stuft dessen Verhalten als „Framing“ ein, das in persönlichkeitsrechtsverletzender Weise gegen die Grundsätze der journalistischen Sorgfalt verstoße. Und zwar habe das Magazin die Kommunikation im Vorfeld der Berichterstattung unzutreffend wiedergegeben und auch nicht korrekt zitiert.

Dass Vosgerau den „Satz“ gar nicht bestätigte, hat auch das OLG Hamburg so gesehen. Das OLG vertrat aber die Auffassung, dass für den Leser erkennbar sei, dass mit „Satz“ entgegen des Wortlauts eigentlich gar kein „Satz“ von Vosgerau gemeint sein könne. Da der „Satz“ gar kein wörtliches Zitat von Vosgerau enthalten habe, gehe der Durchschnittsleser davon aus, dass es sich hier um eine Zusammenfassung seitens Correctiv handele und nicht um ein Zitat, für das sich Vosgerau auf den Zitatschutz berufen könnte. 

Das LG Berlin setzt sich mit dieser Auffassung auseinander, ohne das OLG explizit zu erwähnen. Es betont zunächst, dass die Auslegung einen „Satz“ nicht tatsächlich auch als „Satz“ zu verstehen, vom Wortlaut nicht gedeckt sei. Selbst wenn man der Aussage aber entnehmen wolle, dass es nur um eine sinngemäße Bestätigung und nicht um einen Satz von Vosgerau gehe, bleibe es dabei, dass Vosgerau gerade nicht bestätigt habe, er sei der Auffassung, dass junge Wählerinnen türkischer Herkunft sich keine politische Meinung bilden könnten.   

Prozess um Kernfrage steht noch aus

Die Entscheidung des LG Berlin ist nicht rechtskräftig. Correctiv kann hiergegen Berufung einlegen. 

Während die neueste Entscheidung nur Nebenaspekte der Correctiv-Recherche betrifft, ist vor dem LG Hamburg noch eine Kernaussage von Correctiv auf dem juristischen Prüfstand.  Ulrich Vosgerau hat sich im Dezember letzten Jahres dazu entschlossen, u.a. gegen die Aussage von Correctiv „Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ vorzugehen. Zahlreiche Medien, die diese Formulierung wörtlich nahmen und berichteten, dass es in Potsdam über die Ausweisung deutscher Staatsbürger gegangen sei, kassierten in der Folge vor Gericht Niederlagen, unter anderem das ZDF, der SWR und der NDR. Correctiv selbst will die Aussage als  Meinungsäußerung verstanden wissen. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung steht noch nicht fest. 

Das Landgericht Berlin II entschied im Dezember letzten Jahres, dass der Lügenvorwurf gegenüber Correctiv wegen der Aussage „Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ zulässig ist und gab der AfD-Politikerin Beatrix Storch recht. Nachdem das Kammergericht die Berufung von Correctiv als offensichtlich erfolglos einstufte, nahm Correctiv die Berufung zurück. 

Vosgerau wurde in allen genannten Verfahren von der Kölner Kanzlei Höcker Rechtsanwälte (Carsten Brennecke) vertreten. Die Kanzlei JBB Rechtsanwält:innen aus Berlin (Thorsten Feldmann) sind für Correctiv bevollmächtigt.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

LG Berlin II entscheidet anders als OLG Hamburg:

. In: Legal Tribune Online,
24.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58228 (abgerufen am:
24.09.2025
)

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