Es ist der Herbst der Reformkommissionen, auch im Bundesjustizministerium: Dort arbeiten seit Donnerstag in sechs Arbeitsgruppen rund 90 Strafrechtsexperten an einer Reform der StPO. Das Ziel: Strafprozesse sollen effizienter werden.

Wenn das fachliche Knowhow im eigenen Haus nicht ausreicht, um einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, bemühen Ministerien seit eh und je externen Sachverstand und Expertise hinzu. Bei großen Reformprojekten werden dann Kommissionen gebildet, um alle fachlich-relevanten Player um Rat zu fragen. 

So geschehen seit Donnerstag auch bei der im Koalitionsvertrag angekündigten „grundlegenden“ Überarbeitung der Strafprozessordnung (StPO). Etwa 90 Personen aus Wissenschaft, Praxis und Bundesländern werden sich in den nächsten Monaten in sechs Arbeitsgruppen die StPO zu Brust nehmen und auf ihren Reformbedarf abklopfen. Liefern sollen sie bis zum Herbst 2026. „Im Mittelpunkt der Kommissionsarbeiten soll die Frage stehen, wie sich strafgerichtliche Hauptverhandlungen zügiger und effizienter durchführen lassen – ohne zentrale rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze preiszugeben“, heißt es in einer Erklärung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). 

Mehr Effizienz im Strafprozess, ohne Einbußen von Rechtsstaatlichkeit? Klar ist schon jetzt: Der Arbeitsauftrag für die Kommission bedeutet für die Beteiligten eine Herkulesaufgabe und es ist davon auszugehen, dass es in den nächsten Monaten zu hitzigen Diskussionen kommen wird. Kontroversen zwischen Strafverfolgern und Richtern mit Vertretern aus der Anwaltschaft dürften vorprogrammiert sein. 

Keine formellen Abstimmungen, sondern „einvernehmliche Empfehlungen“

Der Kommission im engeren Sinne werden 22 Mitglieder unter dem Vorsitz der BMJV-Ministerialdirektorin Dr. Heike Neuhaus angehören. Vom Bundesgerichtshof wurde der Vorsitzende Richter Prof. Jürgen Schäfer berufen, die Bundesanwaltschaft vertritt Prof. Hartmut Schneider. Aus der Strafrechtslehre sind die Professoren Anna Albrecht (Potsdam), Katrin Höffler (Berlin), Hans Kudlich (Erlangen-Nürnberg) und Arndt Sinn (Osnabrück) dabei. Daneben dann vier Vertreter aus der Anwaltschaft, drei aus den Richterverbänden und Juristinnenbund sowie acht Ländervertreter.

Doch damit nicht genug. Weitere knapp 70 Experten werden in sechs eingerichteten Arbeitsgruppen die Basisarbeit der Reform leisten. 

Die Arbeitstitel der AGs lauten:

  • Rechtsmittel und Instanzenzug
  • Strafbefehl, Beschleunigtes Verfahren, Verfahren vor den Amtsgerichten
  • Durchführung der Hauptverhandlung – Verhandlungsführung
  • Beweistransfer und Unmittelbarkeit
  • Beweisaufnahme
  • Zwischenverfahren, Verteidigung, Opferbeteiligung

Drei dieser Arbeitsgruppen werden von Mitarbeitern des BMJV geleitet, die anderen von Vertretern der Länder. Erste Arbeitstermine, heißt es, seien bereits vereinbart. Nach außen dringen soll jedoch nichts: In den Arbeitsgruppen wurde Vertraulichkeit vereinbart. 

Fest steht auch, dass es in den AGs keine formellen Abstimmungen zu Streitpunkten geben wird. Ziel seien, so erläutert eine BMJV-Sprecherin, vielmehr „einvernehmliche Empfehlungen“, die in den Abschlussbericht einfließen sollen. Angesichts der Vielzahl von Kontroversen im Bereich Strafprozess darf man gespannt sein, wie umfassend dieser am Ende ausfallen wird.   

DAV und NRV setzen auf Dokumentation der Hauptverhandlung

Eines der kontroversen Themen wird sicher die Dokumentation der Hauptverhandlung sein. Strafrechtler Prof. Ali B. Norouzi ist für den Deutschen Anwaltverein (DAV) eines der 22 Kommissionsmitglieder. „Für den DAV bleibt die Dokumentation der Hauptverhandlung – ob in dieser Legislatur oder der nächsten – ein wichtiger Schritt, der viele Problemfelder lösen und zur Transparenz des Verfahrens beitragen kann,“ so Norouzi dazu. 

Auch das Kommissionsmitglied der Neuen Richtervereinigung (NRV), Richter am Landgericht Sven Kersten, sieht das so. Die Audio-Dokumentation der Hauptverhandlung sei ein Herzensanliegen der NRV. ”Aber auch eine Reform des Instanzenzuges und des Rechtsmittelrechts, ohne dabei die Beschuldigtenrechte aus dem Blick zu verlieren, wird ein wichtiger Schwerpunkt sein“, so Kersten.

Eine audio-visuelle Dokumentation der Hauptverhandlung gilt seit jeher vor allem als Herzensanliegen der Anwaltschaft. Ob sich die neue Kommission darauf verständigen wird, ist indes äußerst fraglich: In der letzten Wahlperiode scheiterte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann sogar damit, Bundesländer und Justiz von einer abgeschwächten Dokumentationsvariante zu überzeugen. Sein Gesetzentwurf versauerte im Vermittlungsausschuss.

Angesprochen auf den Arbeitsauftrag der Kommission, für einen effizienteren Strafprozess zu sorgen, betont Norouzi gegenüber LTO, dass für ihn der Begriff der „Effizienz“ nicht negativ konnotiert, sondern ein neutraler Begriff sei. 

Stefanie Hubig: „Strafprozesse dauern zu lange“

Nach dem Willen der Bundesregierung soll es in der Kommission in erster Linie um Beschleunigung gehen. „Strafprozesse in Deutschland dauern oft zu lange“, beklagt Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Stefanie Hubig (SPD). Straftäter sollten zügig ihr Urteil erhalten, während die Rechte von Beschuldigten und Opfern gewahrt bleiben müssen. „Deshalb straffen und modernisieren wir die Strafprozessordnung. Um der Kriminalität des 21. Jahrhunderts effektiv zu begegnen, brauchen wir neue Verfahrensregeln“, so Hubig.

Formal abgeschlossen sollen die Arbeiten der Kommission spätestens zum Ende des nächsten Jahres mit der Vorlage und anschließenden Veröffentlichung des Kommissionsberichts. Ein öffentlicher Zwischenbericht ist nicht vorgesehen.

Aufbauend auf den entsprechenden Empfehlungen wird das BMJV sodann einen Referentenentwurf erarbeiten, der laut der Ministeriumssprecherin „so frühzeitig vorgelegt werden soll, dass das Gesetzgebungsverfahren noch in der laufenden Legislaturperiode abgeschlossen werden kann“.  

Zitiervorschlag

Gigantisches Reformprojekt im BMJV gestartet:

. In: Legal Tribune Online,
26.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58253 (abgerufen am:
26.09.2025
)

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