Die Verfassungsbeschwerde von 14 Medizinern gegen Triage-Regelungen war erfolgreich. Das BVerfG erklärt den Kriterienkatalog sowie das Verbot der Ex-Post-Triage mangels Bundeskompetenz für verfassungswidrig und nichtig. Und wie geht’s weiter?

Die Triage-Regelungen des § 5c Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Verfassungsbeschwerden von 14 Medizinern stattgegeben (Beschl. v. 23.09.2025, Az. 1 BvR 2284/23, 1 BvR 2285/23). Triage bedeutet, dass Ärzte und Ärztinnen bei zu wenigen Betten oder Beatmungsgeräten etwa in einer Pandemie eine Reihenfolge festlegen, wer zuerst behandelt wird. Diese Entscheidung kann regelmäßig zu einem Verlust von Menschenleben führen. Ärzte stehen also vor dem Dilemma in Ausnahmesituationen entscheiden zu müssen, wer überleben darf. 

Die Ärzte hatten sich insbesondere gegen zwei Regelungen in der im Jahr 2022 zur Corona-Zeit beschlossenen Neuregelung gewandt. Zum einen geht es um den Kriterienkatalog, nach dem die Behandlungskapazitäten bei einem Engpass in der ärztlichen Versorgung verteilt werden sollen (§ 5c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 IfSG).

Zum anderen beanstandeten die Ärzte das Verbot der sogenannten Ex-post-Triage. Danach ist es untersagt, eine begonnene Behandlung abzubrechen, auch wenn ein neu aufgetretener Patient bessere Überlebenschancen hat. Hierin sehen die Ärzte einen Konflikt mit dem Berufsethos: Ihnen werde die Möglichkeit genommen, in einer Notsituation die größtmögliche Zahl an Menschenleben zu retten.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Regeln für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Die Entscheidung erging mit 6 : 2 Stimmen. Von der Möglichkeit ein Sondervotum zu verfassen, machten die zwei nicht zustimmenden Richter keinen Gebrauch.

Keine Entscheidung in der Sache, sondern fehlende Bundeskompetenz für Regeln

Es liege ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12. Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor. Dieser gewährleiste, dass Ärztinnen und Ärzte in ihrer beruflichen Tätigkeit frei von fachlichen Weisungen sind, und schützt – im Rahmen therapeutischer Verantwortung – auch ihre Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ einer Heilbehandlung. Die Regelungen des § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG schränkten die Therapiefreiheit ein und beeinträchtigen damit die Berufsausübungsfreiheit. 

Derartige Eingriffe in Grundrechte können verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Hierfür bedarf es aber als erster Voraussetzung der formellen Rechtmäßigkeit einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage.

Eine solche liegt nach Auffassung des BVerfG nicht vor. Denn es bestehe schon keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für der Erlass der angegriffenen Regelungen des § 5c IfSG. Das heißt, die Bundesländer sind für die Triage zuständig. Auf die weitere Frage, ob die Regeln auch materiell-rechtmäßig sind, also die Berufsfreiheit der Sache nach unverhältnismäßig einschränken, kam es wegen der formellen Rechtswidrigkeit nicht mehr an.

Triage ist keine Infektionsbekämpfung

Zur Begründung führt der Erste Senat aus, der Bund könne sich nicht auf die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von “Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten” stützen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG). Schon der Wortlaut „gegen“ zeige, dass die Kompetenz nur bestehe, wenn ein Gesetz bezwecke, die übertragbare Krankheit einzudämmen oder ihr vorzubeugen. Die Triage selbst diene aber nicht dem Ziel der Eindämmung einer Krankheit, sondern betreffe reines Pandemiefolgenrecht, was vom Kompetenztitel nicht umfasst sei. Entsprechend handele es sich bei der Triage auch nicht um eine „Maßnahme“ zur Bekämpfung von Krankheiten. 

Der Bund könne sich auch nicht auf die Gesetzgebungskompetenz der öffentlichen Fürsorge stützen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG), die er gemeinsam mit den Ländern innehat. Zwar dienten die Regelungen des § 5c IfSG auch dem Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung, doch fehle es den Triage-Regeln an einem primär fürsorgerechtlichen Charakter. Vielmehr regelten sie die Behandlungsreihenfolge im Fall einer Triage und damit im Kern ärztliche Berufsausübung und krankenhausrechtliche Verfahrenspflichten. Genau für diesen medizinischen Bereich weise das Grundgesetz dem Bund aber nur beschränkte Gesetzgebungskompetenz zu, insbesondere eben die Infektionsschutzbekämpfung, die hier nicht vorliege. Diese Entscheidung des Verfassungsgebers für eine weitgehende Gesetzeskompetenz der Länder dürfe nicht unterlaufen werden, indem die Kompetenz des Bundes für die öffentliche Fürsorge weit ausgelegt werden.

Und wie geht’s weiter? 

Dass der Gesetzgeber überhaupt Triage-Regeln beschlossen hat, ist auf eine Entscheidung des BVerfG von 2021 zurückzuführen. Der Erste Senat hatte mitten in der Pandemie entschieden, dass der Gesetzgeber tätig werden müsse, um Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung im Fall begrenzter medizinischer Kapazitäten zu schützen (Beschl. v. 16.12.2021, Az. 1 BvR 1541/20).

Damals hatte das BVerfG aber pauschal vom „Gesetzgeber“ gesprochen, der zur Aufstellung von Regeln verpflichtet ist und damit offengelassen, ob Bund oder Länder die Regelungen treffen sollen.

Dadurch, dass das BVerfG die Triage-Regeln für nichtig erklärte, entsteht nun wieder das rechtliche Vakuum, das das BVerfG selbst 2021 beanstandete. Nun werden also die Länder Triage-Regeln treffen müssen. Ob sie sich dabei an den Regeln orientieren dürfen, die der Bund aufgestellt hatte, und ob konkret ein Verbot der Ex-Post-Triage sowie der Kriterienkatalog zulässig sind, bleibt offen Das BVerfG macht in dem Beschluss keinerlei Andeutungen zur materiellen Verfassungsmäßigkeit der Normen.

Vor diesem Hintergrund ist eine Triage-3-Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in ein paar Jahre alles andere als unwahrscheinlich.

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Zitiervorschlag

Verfassungsbeschwerde von 14 Medizinern erfolgreich:

. In: Legal Tribune Online,
04.11.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58528 (abgerufen am:
04.11.2025
)

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